Am 20. Oktober 2025 wiederholt sich im Heilbronner Kreistag ein Muster, das eigentlich längst vom Verwaltungsgericht Stuttgart gestoppt worden war: Die AfD-Vorschläge für das Amt der ehrenamtlichen Richter werden pauschal abgelehnt — und zwar wieder ohne individuelle Begründung. Der Rechtsstaat ist in der Defensive, und die Politik feiert sich für eine Brandmauer, die in Wahrheit ein Schutzwall gegen das Grundgesetz ist.
Was das Urteil verlangte — und was der Kreistag daraus machte
Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Az. 5 K 8212/25) durfte der Kreistag die Vorschlagslisten nicht mehr pauschal ablehnen. Das Gericht schrieb vor, dass über jede einzelne Person individuell abgestimmt werden muss — und dass Ablehnungen nur aus sachlichen Gründen möglich sind, etwa bei Straftaten oder ernsthaften Zweifeln an der Verfassungstreue.
Doch was passierte am 20. Oktober 2025? Über jede der 47 Personen wurde offen abgestimmt, aber kein einziger Grund für eine Ablehnung wurde genannt, geschweige denn dokumentiert. Alle AfD-Kandidaten fielen durch. Und wieder wurde das Verfahren zur Farce.
SWR-Experte: „Es geht um die Person, nicht um die Partei“
SWR-Rechtsexperte Philipp Raillon brachte es nach dem ersten Urteil am 17.09.2025 auf den Punkt:
„Das Gericht hat aber ganz deutlich gemacht, dass das Grundgesetz letztlich vorgibt, dass eine Person nur abgelehnt werden kann, wenn sie als Person ungeeignet ist, also weil sie falsche Ansichten vertritt oder verfassungsfeindliche Ansichten vertritt zum Beispiel. […]
Es kommt auf die Person an und auf die Person und ihre Einstellungen und nicht darauf, wer denn diese Person jetzt vorgeschlagen hat. Der Kreistag hatte die AfD-Vorschläge pauschal abgelehnt. Das geht so also nicht, hat das Gericht zumindest jetzt auf diesen konkreten Fall bezogen entschieden.“
(SWR Aktuell, 17.09.2025)
Und auch nach der erneuten Abstimmung erklärte Raillon am 20.10.2025:
„Ehrenamtliche Richterkandidaten dürfen nicht alleine deshalb abgelehnt werden, weil sie der AfD angehören. […] Das Gericht hat aber ganz deutlich gemacht, dass das Grundgesetz letztlich vorgibt, dass eine Person nur abgelehnt werden kann, wenn sie als Person ungeeignet ist. Es kommt auf die Person an und nicht darauf, wer sie vorgeschlagen hat.“
(SWR Aktuell, 20.10.2025)
Formaler Gehorsam, inhaltliche Missachtung
Was bleibt also von der gerichtlichen Entscheidung? Formal hat man den Ablauf verändert: Einzelabstimmung statt Fraktionsliste. Aber inhaltlich bleibt alles beim Alten — die Ablehnung der AfD-Kandidaten erfolgt weiter pauschal, ohne sachliche Einzelfallprüfung, ohne nachvollziehbare Begründung, ohne Willkürschutz.
Die Brandmauer gegen die AfD bleibt bestehen, aber sie ist eine Brandmauer gegen das Grundgesetz und gegen die Grundprinzipien des Rechtsstaats. Wer öffentlich predigt, „nie wieder“ und „Wehret den Anfängen“, der sollte sich fragen, ob Demokratie wirklich auf Dauer funktioniert, wenn die Regeln des Grundgesetzes aus parteipolitischem Kalkül ausgehöhlt werden.
Fazit — und eine offene Frage an den Rechtsstaat
Ich bin kein Jurist, aber ich habe selten deutlicher gespürt, wie weit sich ein demokratisches Gremium von der Idee des Rechtsstaats entfernen kann.
Was bleibt, wenn Urteile nur formal, aber nicht im Geist befolgt werden?
Ist Willkür wirklich das neue Normal?
Und wann wird endlich wieder der Artikel 33 Abs. 2 GG ernst genommen?
Vielleicht braucht es eine neue Klage. Vielleicht braucht es aber auch nur mehr Menschen, die den Mut haben, das Offensichtliche auszusprechen: Der Rechtsstaat ist kein Selbstbedienungsladen — und Demokratie ist mehr als Mehrheitsbeschaffung.
Quellen:
Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 16.09.2025, Az. 5 K 8212/25
SWR Aktuell, 17.09.2025
SWR Aktuell, 20.10.2025